von Leonie Reuter (Kommentare: 3) in Kategorie » Teneriffa «
Arbeitslosigkeit und Armut zum Weihnachtsfest
Zum Jahresende sind auch auf den spanischen Fernsehkanälen neben den alljährlichen Rückblicken, Moderatoren und Politiker zu sehen, die einen optimistischen Ausblick auf das kommende Jahr werfen. Mit eindrucksvollen Worten wird uns in diesem Jahr recht zuversichtlich mitgeteilt, dass die spanische Wirtschaft in der nächsten Zeit aus der Rezession herauskommen wird. Die Kanarischen Inseln sollen nach Politikers Worten in den folgenden Jahren wieder aufblühen. Interessiert vernehme ich, dass der Boden der negativen Entwicklung erreicht und die Talsohle durchschritten sei. Das sind gute Nachrichten, die wir zum Jahresende sicherlich alle gerne hören. Wirklich gute Nachrichten oder unerfüllbare Wünsche? Tatsachen oder doch nur um warme Worte und taktische Versprechungen zum Weihnachtsfest?
Die Realität in Spanien und auf den kanarischen Inseln sieht leider immer noch nicht wirklich rosig aus. Manch ein Tourist, der an der Küste im weihnachtlich aufgehübschten Viersternehotel lebt, vermag es sich kaum vorzustellen. Hier auf den vielbesuchten Touristeninseln mitten in Europa gibt es richtige Armut. Die Wirtschaftskrise hat bis heute nachhaltige Spuren hinterlassen. Kurzbesucher auf den Inseln erleben gefüllte Hotels mit freundlichen Hotelangestellten. Sie sehen Bus- und Taxifahrer und nette Reiseleiter, die ihnen die Sehenswürdigkeiten der Inseln zeigen. Was sie an der Küste kaum zu sehen bekommen, ist die hohe Anzahl der Menschen, die ohne Arbeit traurig zu Hause sitzen. Oder noch schlimmer, die Menschen, die nicht einmal mehr ein zu Hause oder etwas zu essen haben.
Arbeitslosigkeit und Armut auf den kanarischen Inseln unverändert
Im Moment bleibt vielen Menschen tatsächlich nur die Hoffnung auf Besserung, denn auch im Jahr 2013 hat sich in Sachen Arbeitslosigkeit und Armut wenig auf den Inseln wenig verändert. Im Gegenteil – für viele Menschen haben sich ihre privaten Verhältnisse im Vergleich zu den Vorjahren eher noch verschlimmert.
Immer mehr Menschen laufen auf den sonnigen Touristeninseln in die Gefahr, unter die Armutsgrenze abzurutschen und sozial ausgegrenzt zu werden. Die über 20% in Spanien und weit über 30 % liegende Arbeitslosenquote auf den kanarischen Inseln hat sich kaum verändert. Die Arbeitslosenquote in Spanien ist weiterhin die höchste Quote in den EU-Staaten. Das gravierende Problem der Jugendarbeitslosigkeit ist bis heute ungelöst. Eine Änderung der schlimmen Lage ist auf den kanarischen Inseln bislang nicht in Sicht. Ist das Verlassen der Heimat, das Zurücklassen von Familie und Freunden die Lösung? Mit Sicherheit nicht.
Laut statistischen Angaben ist jeder zweite Arbeitslose in Spanien zusätzlich noch ein sogenannter Langzeitarbeitsloser. Das bedeutet, dass er bereits länger als ein Jahr nach einem neuen Arbeitsplatz sucht. Auch die Zahl der Familien mit nur einem Ernährer ohne Arbeitsplatz hat sich genauso weiter erhöht wie die Zahl der Familien, deren sämtliche Mitglieder ohne Arbeit sind. Immer mehr Familien und ganze Familienverbände sind ohne Arbeit. Lag diese Zahl im Jahr 2012 bereits fast bei 10%, wächst die Quote schneller als die allgemeine Arbeitslosenquote. Auch besorgniserregend ist die steigende Anzahl von Personen mit einer Arbeitsstelle, deren Einkünfte weit unter der Armutsgrenze liegen. Das bedeutet arbeiten und dennoch nicht genug zum Leben zu haben.
Jeder dritte lebt unterhalb der Armutsgrenze
Durch alle diese Faktoren hat sich zur gleichen Zeit die Armut der Einwohner auf den kanarischen Inseln erhöht. Infolge der Krise hat sich das Durchschnittseinkommen der spanischen Bevölkerung erheblich vermindert und dadurch ist die Kaufkraft immens gesunken. Wer überhaupt noch Arbeit hat, hat weniger Geld, durch gesunkene Löhne und gekürzte Gehälter.
Der Einkauf von Waren ist eine Sache. Doch immer mehr Menschen können nicht einmal mehr ihre Miete zahlen und viele Inselbewohner sind bereits obdachlos oder leiden Hunger. Obdachlosenheime wie wir sie in Deutschland kennen, gibt es nicht. Allenfalls sind es die Hilfsorganisationen, die mit Spendengeldern Unterkünfte für Bedürftige organisieren und bereitstellen.
Nach den aktuellen Statistiken des Kanarischen Instituts für Statistik (INE), beträgt das Risiko auf den kanarischen Inseln der Armut oder sozialen Ausgrenzung anheim zu fallen, aktuell fast 40%. Betroffen von dieser erschreckend hohen Zahl sind in erster Linie Kinder.
Von den mehr als 370.000 Einwohnern der kanarischen Inseln, die arbeitslos sind, hat fast ein Drittel dieser Menschen bereits jegliche mögliche staatliche Unterstützung ausgeschöpft und verfügt über kein eigenes Einkommen mehr. Nach Angaben der Caritas soll jede dritte Bewohner auf den Inseln unterhalb der Armutsgrenze leben.
Die Zunahme der Zahl der Bedürftigen lässt sich auch an der ständig steigenden Zahl der Menschen erkennen, welche die Hilfsstellen für mittellose Personen des Roten Kreuzes, der Caritas oder anderer Hilfsorganisationen aufsuchen. Anders als in Deutschland haben die staatlichen Hilfen nach einiger Zeit ein Ende und die Betroffenen nur noch die Chance in ihren oftmals großen Familien Hilfe zu suchen. Doch auch dort ist immer weniger Hilfe zu erwarten. Denn auch Onkel und Tanten sowie die Cousins suchen häufig selber verzweifelt nach einer Arbeitsstelle. So bleibt nur noch der Gang zu einer Hilfsorganisation. Im letzten Jahr hat sich die Zahl der Bedürftigen auf den kanarischen Inseln verdoppelt.
Hilfsangebote für die Bedürftigen notwendig, aber keine Lösung
Das kanarische Rote Kreuz bietet umfangreiche Hilfs- und Sozialprogramme und hat auch im Jahr 2013 einer weiter ansteigenden Anzahl von Menschen im eigenen Land geholfen. Und dennoch laufen die sozialen Anlaufstationen von Caritas und anderen Hilfsorganisationen über. Auch kirchliche Organisationen beteiligen sich in einem großen Umfang an Hilfe und organisieren Güter, Gelder und Speisen für obdachlose Menschen. Es gibt große Medienkampagnen, die die Bevölkerung zur Mithilfe und Beteiligung aufrufen. Die Bibliotheken auf Teneriffa haben sich zum Beispiel zusammengeschlossen und sammeln gemeinsam für die Bedürftigen. Immer wieder lese ich in der Presse von Wohltätigkeitsveranstaltungen, die von Kommunen, Vereinen und den unterschiedlichsten Gesellschaften veranstaltet werden. Und dennoch scheint trotz des großen ehrenamtlichen Einsatzes vieler Helfer und Helfershelfer nicht genügend für alle Bedürftigen da zu sein. So sind die die Armen der Ärmsten auch weiterhin dringend auf ihre Familien und private Spenden angewiesen.
Und auch wenn im wirtschaftlichen Sinn die Talsohle der Rezession hoffentlich tatsächlich durchschritten ist, wird es auf den Ferieninseln im Moment weiterhin viele Menschen geben, die trotz vieler Einschränkungen nicht wissen, wie sie über den nächsten Monat kommen sollen. Angesichts dieser Menschen und der immer noch recht traurigen wirtschaftlichen Lage in Spanien und auf den kanarischen Inseln, können wir nur hoffen, dass die Redner mit ihren Versprechungen ausnahmsweise einmal Recht behalten werden.
Voraussetzung für die Beseitigung der Armut ist zunächst die Beseitigung der Arbeitslosigkeit. Unterstützung der Hilfsbedürftigen ist notwendig und im Moment unbedingt erforderlich und nicht wegzudenken. Sie darf jedoch keinesfalls zum Dauerzustand werden. Nur ein sich erholender Arbeitsmarkt und eine gesundende Wirtschaft können langfristig im Kampf helfen und die Armut besiegen.
Kommentare
Kommentar von Roswitha Schäfer-Neubauer |
Hi Leonie,
Deine durchgehende Schwarzmalerei, während du – da es Dir als Deutscher ja wohl sehr gut geht, auf den Armutsinseln, also mit deinem Hund durch die Inseln streifst, um neue Wanderwege zu entdecken, wirklich eine hochsinnvolle Tätigkeit! – können natürlich solche „Artikel“ die einzig tragfähige Basis der Insel – nämlich den Tourismus – völlig zerstören.
Kritik wäre ganz woanders angebracht. Aber da schwafelst Du nur drauf los, weil du keine Journalistin bist, sondern hier irgendwas absonderst – Es gibt in Spanien eben KEIN Sozialsystem, das wir in Deutschland zwar als „nicht ausreichend“ beklagen, das aber doch – sofern der Mensch nicht voll in die Unmenschlichkeit auch dieser Mühlen der Sanktionen gerät – durch das sogenannte „Hartz IV“ – System nach einer Phase von Arbeitslosigkeit oder wenn man wie zuvor der „klassische“ Sozialhilfe-Empfänger keine Arbeit hatte, aus welchen Gründen auch immer – also diese Art von Sozialsystem gibt es in Spanien nicht. Das Arbeitslosengeld hingegen erneuert sich prozentual, wenn du zwischendrin einen Job gefunden hast, nicht so wie in Alemania, dass du erst mindestens wieder ein volles Jahr sozialversicherungspflichtig gearbeitet haben mußt, ehe du wieder in den Genuß eines richtigen Arbeitslosengeldes kommst.
Auch werden die Bedürftigen fast ein Jahr lang mit Lebensmittelpaketen über Wasser gehalten, sie müssen nicht an „Tafeln“ wie in Berlin oder anderswo sich als Bittsteller zeigen.
Anders als in Alemania halten die spanischen und insbesondere kanarischen Familien noch zusammen. Das arbeitslos gewordene erwachsene Kind geht dann halt zurück zu Mama und Papa – und die meisten Familien besitzen Grund und Boden. Haben einen Garten oder haben früher Wohnungen erworben, die sie heutzutage vermieten. Zugegeben, oft schwarz, weil sie dem Staat und den Banken nicht mehr trauen.
Die Lebensmittelpreise sind entsprechend niedrig. Und für uns Deutsche, selbst mit keinem überragenden Einkommen nachgerade spottbillig. Und dabei noch von sehr guter Qualität – frisch aus dem Meer oder von der Plantage.
Es könnte sehr vieles sehr viel besser laufen, wenn auch der Tourismus besser gepflegt würde. Die Hotels lassen oft an Küche und Service viel vermissen. Allerdings mag es auch an dem Billig-Tourismus liegen, die Leute wollen wenig Geld ausgeben und alles haben, und sprechen zumeist nicht mal ein Wort Spanisch.
Ich finde es traurig, dass kein Wort von der unglaublichen Gastfreundschaft, der unfassbaren Liebenswürdigkeit und Hilfsbereitschaft der Kanaran rübergekommen ist. Wahrscheinlich sprichst Du auch kein Wort Spanisch. Und wie preiswert Wohnung sind, wenn Du sie mietest, was für ein Traum, für 300 Eu im Monat, da verarmst du schon an der Miete in Deutschland.
Ich mag diesen Text ÜBERHAUPT nicht, hätte ihn niemals so veröffentlich.
Denn er ist absolut einseitig und insgesamt unpolitisch. Statt dass die EU „gefeiert“ wird, oder nun in Alemania „beklagt“ wird dass es den Armuts-Zufluß aus der zuwanderungs-offenen EU nach Alemania gibt – wäre es wichtig, auch mal diese sogenannten Touristen anzugreifen, die alles billig, nicht aus ihren Hotels und damit auch kaum den Handel selbst auf der Insel beleben. Außer mir natürlich….)) Ich lebe auch nicht im Hotel…sondern mit den Menschen…auf der Insel….demnächst wieder, und will das LEBEN und die KUNST dort fördern, vorstellen, promoten, damit wir davon lernen können, uns daran erfreuen können, und den Menschen die Chance geben – etwas von ihren Schätzen zu verkaufen…dann sitzen sie auch nicht „traurig“ zuhause herum. Was sowieso kein Canario machen würde.
Saludos Roswitha Schäfer, z.Zt. in Berlin
Kommentar von Leonie |
Hi Roswitha, ich finde es gut, dass Du Deine Meinung zu dem Thema hier ausführlich erläutert hast. Inhaltlich müssen wir nicht unbedingt zueinander finden. Doch aus meiner Sicht möchte ich einige Dinge klar stellen. Ich habe hier viele spanische Freunde und Bekannte auf der Insel, spreche Spanisch, und weiß die Gastfreundschaft und fröhliche Lebensart der Canarios zu schätzen.
Doch daneben sehe ich auch sehr wohl die Not und das Leid einer wachsenden Anzahl von Menschen. Das ist keine Schwarzmalerei, sondern leider eine Tatsache. Dass es aus Deiner Sicht in Deutschland nicht besser ist, ändert leider nichts an den Fakten. Es gibt hier auf der Insel nun einmal viele hilfsbedürftige Menschen, die nicht mehr von ihren Familien versorgt werden können (auch wenn diese das sicher gerne täten).
Nicht nur ich schreibe darüber.
http://www.wochenblatt.es/1000004/1000013/0/26562/article.html
Das ist keine Schwarzmalerei.Hilfsbedürftige Menschen gehören zurzeit zur Insel. Genauso wie Gastfreundschaft, Lebensart und Sonne. All das weiß ich zu schätzen und liebe diese Insel. Ansonsten würde ich hier nicht wohnen.
Leider sind eben gerade nicht die von Dir erwähnten 300 € Miete für jeden erschwinglich. Und das wahrscheinlich nicht nur auf Teneriffa.
Saludos
Leonie
Kommentar von Betrachtungswinkel |
Hallo Leonie und Roswitha,
interessiert habe ich den Artikel und Euren Disput darüber gelesen. Als ausgebildeter Journalist möchte ich gerne meinen Senf dazu abgeben.
Ich erachte den Artikel von Leonie durchaus als „journalistisch“, wenn auch handwerkliche Mängel enthalten sind. Die Kritik von Roswitha bezüglich der Nicht-Erwähnung von Gastfreundschaft und Liebenswürdigkeit kann ich nicht so recht nachvollziehen. Ein journalistischer Artikel zeichnet sich im Allgemeinen dadurch aus, dass er ein Thema aufgreift und diesem folgt. Und das tut er. Die charakterlichen Eigenschaften der Canarios oder Spanier sind nicht das Thema.
Das Argument von Roswitha zur durchgehenden Schwarzmalerei kann ich teilweise nachvollziehen, da der Kausalzusammenhang zwischen Urlaubern mit „Geiz ist geil“-Mentalität und der Situation hier außer Acht gelassen wird. Das betrifft nicht nur All-Inklusive-Packager, sondern auch die Residenten, die ihre Liebsten und Freunde einladen und sich wider besseren Wissens (oder wegen der Sprachkenntnisse) in den Touri-Ecken rumtreiben und das Geld der Besucher in die multinationalen Konzernkassen fließt statt in lokales Business.
Der Leser wird mit der Bestandsaufnahme relativ allein gelassen und nimmt den „Betroffenheitsjournalismus“ zur Kenntnis, ohne mehr als den Erkenntnisgewinn zu haben, das Vieles „echt schlimm“ ist. Das hat Roswitha wahrscheinlich besonders geärgert.
Wie wäre es mit einem weiteren Artikel zum Thema, Leonie, in dem Du die Faktoren, die zu Arbeitslosigkeit und Armut führen, in den Fokus rückst? Und dabei vor allem die Rolle und mögliche Einflussnahmen der deutschlesenden Besucher dieser Seite berücksichtigst. Denn merke: Lidl, Carrefour, McDonalds, Aberdeen Steakhouse, Makler und Huasverwalter nicht spanischer Nationalität und was weiß ich noch hübschen mit ihren Einnahmen lediglich die Bilanzen irgendwelcher Schweizer oder Luxemburger Holdings auf.
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