von Thomas Vollmer (Kommentare: 0) in Kategorie » Kanaren, Spanien «

Weniger Kinder, immer später

17.234, so viele Babys wurde im vergangenen Jahr auf den Kanarischen Inseln geboren. Eine Zahl, die fast identisch ist mit der, aus dem Jahre 1997. Vor sechzehn Jahren waren es 17.345 Kinder, die das Licht der Welt erblickt haben. Schon damals war man über die niedrige Geburtenrate nicht besonders erfreut. Und über die Gründe wurde damals ebenso viel spekuliert wie heute auch. Allerdings kommt man dabei im Jahr 2013 zu anderen Ergebnissen als zum Ende des vergangenen Jahrhunderts.

Gab man damals der zunehmenden Berufstätigkeit von jungen Frauen die Schuld, ist es heute genau das Gegenteil. Nämlich die grassierende Arbeitslosigkeit und die damit verbundenen finanziellen Unwägbarkeiten.

Wahrscheinlich sind die Gründe, warum Paare ein Kind bekommen oder eben nicht, sehr viel differenzierter. Differenzierter als sich Soziologen und Bevölkerungsforscher dies vorstellen können. Natürlich beeinflusst die ökonomische Situation die Reproduktionsbereitschaft einer Gesellschaft. Aber es ist bestimmt nicht der einzige Faktor, den junge Menschen bei ihrer Familienplanung berücksichtigen. Wäre dies so, würden auf den Kanarischen Inseln wahrscheinlich zur Zeit überhaupt keine Kinder mehr geboren. Zwar ist die Geburtenzahl im Jahr 2012 im Vergleich zum Jahr 2008, dem letzten vor der Krise, um 16,6 % zurückgegangen. Aber die unsichere Zukunft ist nur eine von zahlreichen Überlegungen, die Paare im fortpflanzungsfähigen Alter anstellen, bevor sie sich für oder gegen ein Kind entscheiden.

Gesellschaftliche Zwänge beeinflussen Kinderwunsch

Die beschränkte Akzeptanz von größeren Familien und die vielfach fehlende Kinderfreundlichkeit einer zunehmend individualisierten Gesellschaft lässt es vielen Paaren unattraktiv erscheinen, sich für Nachwuchs zu entscheiden. Die soziokulturellen Bedingungen haben sich nicht nur in den oft als gefühlskalt gescholtenen Ländern des Nordens geändert. Sondern auch in südlicheren Gefilden hat sich etwas verändert. Lange existierte die romantische Vorstellung der spanischen Großfamilie, in der alle noch lebenden Generationen gemeinsam friedlich unter einem Dach leben. Längst ist sie Vergangenheit. Auch hier werden die Alten immer öfter in Altenheimen und Pflegeeinrichtungen untergebracht. Eine Pflege durch die eigenen Kinder oder Enkel findet im 21. Jahrhundert kaum noch statt. Kinder sind schon lange keine Garantie mehr dafür, dass man im Alter umsorgt ist. Umringt von den Lieben, in einem Schaukelstuhl sitzend den Lebensabend in finanzieller Sorglosigkeit zu verbringen, ist ein Traum.

Die Ansprüche moderner Gesellschaften tragen dazu bei, dass Eltern die Entscheidung für ein Kind, heute rationaler denn je treffen. Natürlich spielen emotionale Gründe auch heute noch eine wichtige Rolle beim Kinderkriegen, sonst würde die Geburtenstatistik in Zeiten der Krise gegen Null tendieren, aber die Frage, ob man sich die Mutter- und Vaterfreuden auch leisten kann, steht bei den potenziellen Eltern ganz oben auf der Liste der vor einer Schwangerschaft zu klärenden Punkte.

Zunächst wird die finanzielle Basis geschaffen, auf der eine Familie gegründet werden kann. Kinder sind (in Europa) nicht mehr wie in den vergangenen Jahrhunderten billige Arbeitskräfte, die das Familieneinkommen steigern. Sondern sie verschlingen, bis sie – übrigens auch immer später – das Hotel Mama verlassen, den Gegenwert einer Eigentumswohnung oder eines Mitteklassewagens. Diese Basis, die den meisten Paaren so wichtig ist, dass der Kinderwunsch immer weiter in die Zukunft verschoben wird, ist in Krisenzeiten naturgemäß sehr viel schwerer zu errichten.

Altersdurchschnitt der Erstgebärenden steigt

Waren die meisten Erstgebärenden auf den Kanarischen Inseln 1997 noch zwischen 26 und 32 Jahren alt, so konzentriert sich dieser Durchschnittswert heute zwischen 29 und 35 Jahren. War vor 10 Jahren noch mehr als die Hälfte der jungen Mütter unter 30 Jahren, so sind es heute nur noch 16 %. Eine Entwicklung, die sich allerdings nicht auf die Kanaren beschränkt, sondern in allen größeren Wirtschaftsnationen zu beobachten ist.

Je mehr Ausbildung die Menschen haben, desto später bekommen sie ihr erstes Kind. Diese einfache Formel finden Soziologen und Statistiker immer wieder bestätigt. In bildungsferneren Schichten spielt die finanzielle Sicherheit, auf die die meisten Akademiker so viel Wert legen, eine untergeordnete Rolle. Hier entscheidet man emotionaler. Deshalb bekommen Frauen, die keine fundierte Ausbildung haben, ihre Kinder in der Regel früher. Dadurch zementiert man oftmals prekäre wirtschaftliche Verhältnisse auf Jahre hin. Dieser Fakt ist leider ebenso wahr wie die Tatsache, dass sich aus eben genau diesem Grund Höherqualifizierte gegen Kinder in jungen Jahren entscheiden.

So lange materielle Gründe die größte Gewichtung bei der Frage ausmachen, ob und wann man seinen Kinderwunsch realisiert, ändert sich an der derzeitigen Situation nichts. Vielleicht müssen die jungen Menschen erst lernen, etwas entspannter zu werden und nicht ständig versuchen, Idealen nachzujagen. Idealen, die ihnen die Werbung und der Mainstream als die allein selig machende Lebensform präsentiert. Der oftmals als Kinderverhinderer gescholtene Individualismus könnte hier helfen. Seinen eigenen Weg zu finden und sich daran zu orientieren, was man für sich wirklich will. Ohne zu sehr auf das zu achten, was die Wirtschaft als ideal betrachtet. Das könnte dazu beitragen, dass wieder mehr Kinder geboren werden und in einer relaxten Umgebung aufwachsen können.

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